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Intersection 1995 in Glasgow
Nicht bloß eine Besprechung eines europäischen Worldcons
von Roberto Quaglia
Innerhalb der räumlichen Grenzen des Congress Centre der schottischen Stadt Glasgow und der zeitlichen Grenzen, die den Zeitraum vom 24. bis zum 28 August 1995 abstecken, ragt die Existenz von Intersection, der 53rd World Science Fiction Convention, heraus. Für die Zeitreisenden, die sich dort einfinden wollen, haben wir zum Ansteuern die ungefähren Koordinaten der Raum-Zeitortlichkeit vorgegeben. Für die anderen, die der Zeit lediglich in den Spuren von anderen folgen können, unfähig, auf eigenen Wunsch hin die Richtung zu wechseln, haben wir hier eine sogenannte Zusammenfassung bereit gestellt.
Ehrengäste der Convention waren Samuel Delany, Gerry Anderson und Les Edwards Ein Gast der Convention wurde tragisch vermißt: John Brunner starb im Glasgower Krankenhaus am 25. August um 16 Uhr an den Folgen eines Schlaganfalls, den er um 9 Uhr desselben Tages im Hotel erlitten hatte, nachdem er mit Hal Clement gefrühstückt hatte Ich unterhielt mich mit John am Abend davor, und er machte auf mich einen trübsinnigen und niedergeschlagenen Eindruck, in der Tat sehr bitter und unglücklich Sein Leben war in den letzten Jahren sehr schwierig gewesen. Sein plötzlicher und tragischer Tod lastete schwer auf den Teilnehmern der Convention Neben anderen gedachten Delany und Silverberg seiner mit Nachrufen, und statt der üblichen Schweigeminute forderte Silverberg das Publikum dazu auf, in seinem Angedenken zu applaudieren.
Ich habe noch nie einen so mächtigen Applaus gehört.
Viele tausend Teilnehmer, zum überwiegenden Teil Amerikaner oder Briten, waren auf der Convention. Schätzungen laufen von 5000 an aufwärts Ich kenne die offiziellen Zahlen nicht Die Nummer meiner Attending Membership war 10047, aber ich denke nicht, daß es so viele waren (Laut sf chronicle gab es ca. 4800 Anwesende bei einer Totalmitgliedschafl von etwas über 7000, TR)
Neben der englischen gab es die beachtenswerte Präsenz von einigen hundert Deutschen, über hundert Rumänen, etwa 50 Kroaten, Tschechen und Slowaken, und dann Norweger, Finnen, Schweden, Polen, Japaner, Ukrainer, Russen, Holländer, Belgier, Spanier und Franzosen Wenige Schweizer, Österreicher, Litauer und Türken. Und wenige Italiener. Die einzigen italienischen Gesichter, die ich sah, waren Piergiorgio Nicolazzini, Anna Dal Dan und meine Wenigkeit (im Spiegel!).
Zweifelsohne war das Programm der Convention reichhaltig: über 500 Angebote, die jeweils eine halbe Stunde einnahmen. Es gab genug Material für einen drei Monate dauernden Kongreß Auf fünf Tage komprimiert, waren 500 Punkte wirklich zuviel. Selbst bei allergrößtem Willen wäre es für jemanden schwierig, mehr als ca. 10% wahrzunehmen Jeder Kongreßteilnehmer muß so an die 90% des Ganzen verloren haben.
Aber der beste Teil dieser großen Kongresse liegt nicht so sehr in der Qualität des formalen Programms, sondern eher im dadurch ermöglichten menschlichen Kontakt. Die Anwesenheit auf diesen Konferenzen ist eine Art von Interaktion, selbst auf eine passive Weise, mit seinen eigenen Interessen.
Anderen zuschauen und ihnen zuhören, wie sie von einem Podium herab sprechen, kann sicher lehrreich sein und darüber hinaus interessant, aber ich denke nicht mehr als ein gutes Buch oder eine gute audiovisuelle Produktion Informationsflusse in eine Richtung vom Redner zu den Hörern, ähnlich zum Bücherlesen oder Fernsehen Das ist, meiner Meinung nach, nicht die wichtigste Sache an einem guten Science Fiction Kongreß. Die Interaktion zwischen dem Sender von Informationen (dem Sprecher) und dem Empfänger (alle Kongreßteilnehmer) braucht nicht schlechter zu sein als diejenige, die heutzutage von irgendeiner multimedialen Enzyklopädie geliefert wird, oder noch schlechter als das Internet für denjenigen, der einen Computer zu nutzen in der Lage ist Wie die beste Science Fiction die neuesten Forschungen in Wissen und Vorstellungskraft umfaßt, sollte ein guter Science Fiction Kongreß wissen, wie er den Informationsaustausch zwischen den Teilnehmern begünstigen kann.
In der Tat, trotz eines Programms, das an Angeboten von passivem Nutzwert überquoll, war es für jemanden guten Willens möglich, die Convention hinsichtlich ihrer besten Funktion zu nutzen, d.h. für den Austausch von Informationen und Standpunkten zwischen intelligenten Personen aus verschiedenen Kulturen.
In einem kleinen Bereich sorgte das Programm selbst mit dem "Kaffeeklatsch" dafür. Der "Kaffeeklatsch" lieferte für etwa ein Dutzend Personen die Möglichkeit, zusammen mit einem berühmten Schriftsteller eine Tischrunde zu bilden und mit ihm rund eine Stunde zu plaudern. Abgesehen von der Möglichkeit, mit seinem bevorzugten Autor in Gedankenaustausch zu treten, bot der Kaffeeklatsch eine exzellente Gelegenheit, neue Leute für eine Unterhaltung zu finden.
Aber die besten Orte, um die Convention voll auszuleben, waren diejenigen, die mit der Convention verbunden waren, d h. die Korridore, Mahlzeiten in den Restaurants und Hotelhallen. Die durch das Programm gegebenen Haupttermine, die Eröffnung-, Schluß- und Preisverleihungszeremonien und gewisse Vorträge waren mehr als alles andere Rituale zur Huldigung von Idolen. dem Geist von TV naher als der Science Fiction Es war außerhalb dieser Rituale und Programme, wo die Convention mit einem Leben pulsierte, das lesenswerter war In den Bars, Pubs, mit einer Pint Guinness, in den Restaurants vor chinesischen oder indischen Gerichten tauschten diejenigen, die an unterschiedlichen Kulturen interessiert waren, lebhaft Meinungen aus, in einem heiteren Geist der Gemeinschaft, was jeden bereicherte.
Jeden Abend wurden die großen Hotels im Zentrum zu Theatern für gigantische Parties, besucht von Hunderten von Leuten, die bis spät in die Nacht tranken und diskutierten. Wenn der Körper der Convention vom formalen Programm aufgebaut wurde, so leuchtete ihr Geist aufs hellste während dieser abendlichen Parties.
Da der lebhafste, eher interessierende Aspekt der Convention von der großen Gelegenheit zur Kommunikation zwischen den Teilnehmern geboten wurde, ist dies an dieser Stelle einige Beobachtungen wert. Die überwältigende Mehrheit der Anwesenden waren Englischsprechende, Amerikaner oder Briten.
Aber der Eindruck, den man bekam, war, daß die Amerikaner und Briten im allgemeinen wirklich keine Notiz davon nahmen, daß auch viele Kontinentaleuropäer da waren, und wenn sie es taten, schienen sie überhaupt nicht daran interessiert zu sein. Es war eine Ansicht, die vor allem von den mehreren hundert Fans aus Osteuropa geteilt wurde, aus Rumänien und Kroatien, die zum ersten Mal in Massen zu einem Worldcon kamen, nachdem sie große "ökonomische" Opfer gebracht hatten, um sich eine Teilnahme zu ermöglichen. Sie waren voller Enthusiasmus und Hoffnungen und irgendwie durch die Gleichgültigkeit enttäuscht, die ihnen von den meisten der anglo-amerikanischen Teilnehmer entgegengebracht wurde. Wenn man davon ausgeht, daß die Science Fiction in ihrem besten Sinne die Haltung gegenüber der Erforschung des Unbekannten widerspiegelt, ist es merkwürdig, daß auf einer World Convention zur Science Fiction erkennbar so wenig Neugierde gegenüber der Massenteilnahme einer Sektion der Welt gezeigt wurde. die kaum bekannt ist und früher außen vor bleiben mußte.
Und nun kommen wir zu den Fetties. Über das kulturelle Niveau des Spektakels laßt sich diskutieren, aber nicht über das angestiegene Niveau von Fett. Fragt mich nicht, warum, aber der Prozentsatz an Fetties im amerikanischen FANDOM ist sehr hoch, oder besser sehr gewichtig Eine gute Anzahl lag über (und ein gutes Stuck oberhalb) der 200-Kilo-Marke, und einige benutzten seltsame elektrische Dreiräder wegen der offenkundigen Schwierigkeiten, die sie damit hatten, aus eigener Kraft voranzukommen. Der Leser mag sagen, daß dies keine passende Information für einen Artikel über einen Kongreß ist, aber ich bin da anderer Ansicht Die Convention wurde von menschlichen Wesen gebildet, und der größere Teil von ihnen war fettleibig, manche sogar Monstrositäten an Fettleibigkeit. Ich kann nicht sagen, warum, aber es ist eine Tatsache und muß irgendeine Art von Erklärung haben. Ich berichte es hier, ohne meine eigene Spekulationen hinzuzufügen. Auf ihre Art jedoch hatten diese ungeheuren menschlichen Formen eine gewisse Faszination.
Und nun kommen wir zum Wunderschönen. Wenn die Fetties alles Amerikaner waren, so waren die schönen Mädchen fast alle europäisch (ich persönlich konnte das "fast" wegfallen lassen, aber ich mochte nicht auf Kosten der Übertreibung irren) Die schönsten, auf s Ganze gesehen, waren die Rumäninnen und Kroatinnen Auch hier berichte ich nur Tatsachen, ohne mich zu erdreisten, etwas zu erklären Und nun zu den auf der Convention anwesenden Persönlichkeiten.
Da gab es viele. Wenn ich den Artikel in einer formalen Weise bearbeiten wurde, mußte ich dem Leser eine lange Liste jener Berühmtheiten geben, die Intersection in offizieller Hinsicht zu einem wichtigen Ereignis machten. Aber da es vor allem auf die üblichen Namen herauslaufen würde, und vor allem weil, wie ich bereits gesagt habe, das interessantere Element einer Science Fiction Convention in der wirklichen Kommunikation mit Leuten liegt, die man triff, statt in der passiven. aus der Entfernung anbetenden Betrachtung der versammelten Stars, denke ich, daß ich dem Leser einen besseren Dienst erweise, wenn ich in alphabetischer Reihenfolge die Namen der interessanten Personen aufliste, mit denen zu reden ich das Vergnügen hatte und die meine Teilnahme an Intersection zu einer erinnenswerten Erfahrung machten. Einige werden bereits bekannt sein, viele andere werden für den Leser neue Namen sein:
Frank Beckers, Monica Boiangiu, John Brunner, Aurel Carasel, Jack Cohen, Jonathan Cowie, Anna Dal Dan, Pascal Ducommun, Ahrvid Engholm, Klaus Frick, Wolfgang Frisch, Alin Galatescu, Silviu Genescu, Cenk Gökçe, Roelof Goudriaan, Mihai Gramescu, Catalin Grosu, Harry Harrison, Franziska Honeit, Toni Jerrman, Vincent Jö-Nès, Leonid Kouritz, Alan Le Bussy, N. Lee Wood, Sakari Lindhen, Sam Lundwall, Heidi Lyshol, Odelius Magnus, Eva Malinowska, Adaleta Maslo-Krkovic, Krsto Mazuranic, Alexandru Mironov, Alina Mitu, Florin Munteanu, Øyvind Myhre, Piergiorgio Nicolazzini, Yaroslav Olsa, Joan Manel Ortiz, Sorin Repanovici, Hermann Ritter, Pedro Jorge Romero, Yuri Savchenko, Cem Say, Martin Schuster, Norman Spinrad, Maja Strgar, Herbert Thiery, Annemarie Van Ewyck, Bridget Wilkinson.
Der große Wert, den ich persönlich in der Teilnahme an der Convention fand, besteht im Treffen und Reden mit diesen Leuten. Dennoch weiß ich, daß ich einige Namen vergessen habe, weil es nicht leicht ist sich an alle von ihnen zu erinnern.
Und jetzt der weniger interessante Teil der Convention hinsichtlich des Kulturellen Aspekts, aber recht unterhaltsam aus einem theatralischen Blickwinkel: Die Hugo Award Ceremony.
Die tödliche Verkommenheit w einer steifen Zeremonie mit einer vorgegebenen Regelung, wie es alle Zeremonien dieses Typs sind, folterte die eher Sensitiven unter den Anwesenden und unterhielt den Rest wie ein Abführmittel. Dies war der am wenigsten lebendige Teil der Convenlion, wo die Science Fiction, ein Instrument zur Erforschung des Möglichen, sich selbst dadurch erniedrigt, daß sie ihre eigenen Teilnehmer in eine Liste wie beim Pferderennen steckt. gerade als ob jemand ein großes Buch nur zum Erlangen von Anerkennung schrieb statt aus dem unwiderstehlichem Drang heraus, es zu verfassen.
Wie auch immer... hier ist die Liste der Hauptgewinner:
Roman: "Mirror Dance" von Lois McMaster Bujold
Erzählung: "Seven Views of Olduvai Gorge" von Mike Resnick
Kurzgeschichte: "None So Blind" von Joe Haldeman
Sachbuch: "1. Asimov- A Memoir" von Isaac Asimov
Künstler: Jim Burns
Herausgeber: Gardner Dozois
Semi-Prozine: Interzone
Fanzine & Fan-Autor: Dave Langford
Die andere Zeremonie, die mit Spannung erwartet wurde, war die Masquerade, ein Wettbewerb im Anziehen und Zurschaustellung von seltsamen Kleidungsstücken. Das Niveau des Schneiderhandwerks war äußerst hoch. Jeder Kandidat muß viele Monate verbunden mit erheblichen finanziellen Auslagen investiert haben, um die Kostüme vorzubereiten. Die Materialien waren deutlich von höchster Qualität und mit höchster Sorgfalt vollendet worden.
Aber auf der Ebene der Vorstellungskraft gab es leider. mit ein oder zwei Ausnahmen, nichts Besonderes. Es waren größtenteils Variationen des Märchenprinz-Themas oder eher eine Gruppe von Leuten, die als Edelmänner vergangener Zeiten gekleidet waren. Nett, hatte aber wenig zu tun mit dem Geist einer Convention zu Science Fiction. Die Masquerade, das muß gesagt werden, war recht öde für eine denkende Person.
Parallel zum Worldcon war auch Eurocon in Glasgow, die European Science Fiction Convention. Das Bedürfnis, die ESFS (European Science Fiction Society) dazu anzutreiben, die Beziehungen zwischen Enthusiasten in Gesamteuropa zu fordern, auch unter Einbeziehung des Internet, wurde ausführlich debattiert. Der Nächste Eurocon soll im April 1996 in Litauen stattfinden (eigentlich sollte er in Bulgarien sein, aber die Bulgaren sagten offenbar nein).
Die ESFS hat ihre eigenen europäischen Preise verliehen. Seltsamerweise waren die Veranstalter des Worldcon dagegen, daß diese Preise im Zusammenhang mit der Hugo-Zeremonie präsentiert wurden. Noch seltsamer, gleichzeitig erlaubten die Worldcon-Veranstalter dem japanischen Kontingent, ihre nationalen Preise auf der Hugo-Zeremonie zu vergeben. Und noch seltsamer ist die Tatsache, daß die japanischen Preise zwei Flaschen Wein waren, die nicht einmal präsentiert wurden, weil die Gewinner abwesend waren. Diese Merkwürdigkeiten des Lebens belebten die ansonsten vorhersagbare Hugo-Zeremonie.
Das Souvenir Book der Convention, das allen Teilnehmern mit Vollmitgliedschaft ausgehändigt wurde, war elegant und wohlproduziert (fast alle Mitglieder aus Osteuropa nutzten den Vorteil von Preisnachlässen und waren daher nicht zum Erhalt eines Exemplars berechtigt). Es enthielt einen Artikel über Samuel Delany und einen weiteren über Gerry Anderson, einen Text von Anne McCaffrey, eine Vorstellung von Les Edwards mit einer Reihe von Farbillustrationen, einen Artikel über die Netzwerke von Daniel Dem, einen Panoramablick auf das FANDOM der Welt, zwei Beiträge von Bridget Wilkinson und einen Artikel über die Zukunft der Science Fiction von meiner Wenigkeit.
Zusammengefaßt, Intersection '95, die 53ste World Science Fiction Convention, war ein erinnernswertes Ereignis, und ich kann mich nicht darüber beklagen, daran teilgenommen zu haben. Gleichzeitig war es eine Gelegenheit für einige kritische Gedanken über die Welt der Science Fiction, wie sie heute ist.
Viele, darunter Norman Spinrad, sind der Ansicht, daß die zyklopische Qualität des Worldcons zugleich seine Beschränkung ist und ihn am Ende in Einzelteile zerfallen laßt. Meiner Meinung nach gibt es eine Menge Ausbreitungsraum für die Wichtigkeit von europäischer Science Fiction in einem Weltpanorama.
Der Vorstoß w diesem Wachstum wird vielleicht aus den Länder des Ostens kommen, wo der Enthusiasmus für Science Fiction die Sterne erreicht. Anglo-amerikanische Science Fiction macht auf mich gegenwärtig den Eindruck von Dekadenz. Heutzutage schreiben diese Schriftsteller langgewundene Schwarten für den kommerziellen Verbrauch und werden mehr von der Muse der Vermarktung inspiriert als von der des Genius. Ich weiß, daß viele es für Häresie halten, an einen Qualitätssprung in der Science Fiction Kontinentaleuropas zu glauben. Aber hier bin ich in Maßen optimistisch, vor allem in den zeitweisen Phasen, in denen ich nicht stark pessimistisch bin.
Roberto Quaglia © 1995
Alle Rechte über dieses Artikel gehören an Roberto Quaglia. Die Rechte dieser Deutschen Uebersetzung gehören and die Deutsche Zeitschrift ANDROMEDA NACHRICHTEN, wo es in der Nummer 159 erschienen ist.
© 1995-2002 by Roberto Quaglia
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